4 Station: Seestadt Aspern, Temporäre Intervention an der Maria Potesil Gasse/Madame d´Ora Park, Nähe Gemeinschaftsgarten „Kraut und Blüten“, 1220 Wien 11. Juni bis Ende Oktober 2021

SUPER CO HABITAT

In der SEESTADT ASPERN, dem neuen Stadtteil Wiens, sind öffentliche Räume ein zentraler Bestandteil. Daher ist die Seestadt besonders geeignet, die Fragestellung, wie öffentliche Räume als CO HABITAT eine neue Lebensqualität bieten können, nicht nur weil sie in hohem Maße Treibhausgase, Feinstaub und Schadstoffe binden, sondern weil ein gemeinsamer, aus biodiversen Pflanzengesellschaften bestehender Lebensraum mit möglichst vielen Lebewesen eine ergänzende Option zu den ausgeräumten, artenarmen urbanen Grünflächen bietet.

Für den neuen Stadtteil wurde großräumig geplant. Viele Bauten sind bereits bewohnt, neue Bauflächen in Raster gegliedert vibrieren farbenprächtig und transformieren sich laufend selbst. Manche dieser Raster sind bewirtschaftet, andere sind von Wildblumen besiedelt. Ein Nebeneinander neu geplanter Grünräume und viele temporärer biodiverser Vegetationsräume läßt die Frage an diesem Standort neu beleuchten, wie wir öffentliche Räume als CO HABITAT – einer biodiversen Vegetationsfläche, welche Lebensraum für „alle“ Lebewesen inklusive der antrophogenen, gleichberechtigt ermöglicht – also ein SUPER COHABITAT, entstehen lassen oder in bestehende öffentliche Räume und Grünflächen integrieren können. Verschiedene Microhabitate an Wegrändern, Ackerrändern, öffentlichen Grünräumen bis zu Balkonblumen, Gemüsegartengestaltungen, Teile der Essbaren Seestadt usw. lassen diese Lebensräume als ein SUPER COHABITAT verstehen und zu einem Netzwerk an biodiversen Lebensräumen vereinen.

Von der U2 Station Seestadt Aspern zur temporären Kunstintervention STEPPENSTEG kann man/frau einen informativen und mit den Augen von Feldforschenden Spaziergang beginnen, welcher mit der Ausstellung FRAUEN BAUEN STADT beginnt, dann in der Linie der U Bahn folgend zur Straße „Sonnenalle“ führt, welche für die Leitidee „der Weg ist das Ziel“ steht und für Fußgänger/innen freundliche Stadt.

Diese Straße, die in der Mitte zum flanieren einlädt, rät die Künstlerin nach dem Auf und ab wandern der Straßenmitte den kleinen Pfad neben der Straße entlang zu schlendern, der mit einer besonders interessanten und abwechslungsreichen Wildpflanzenflora am Straßen- und Ackerrand aufwartet.

Nach dem Studium von Local Biodiversity des Straßenrandes der Sonnenalle gelangt man/frau am Ende dieser Wildpflanzenflora auf den mit feinen Details gestalteten Marie Trapp Platz. Diese Details entdeckend und Teile von Sound of Music summend oder singend erreicht man/frau den Hannah Arendt Platz.

Dieser öffentliche Raum ist als offener Begegnungsraum in verschiedene Funktionen gegliedert, einem grünen Wohnzimmer, Spielzone, grüne Mitte, Versickerungsbecken für Regenwasser etc. .. und läßt mit seiner Struktur aus Ringen aktuelle Aspekte von Gestaltung öffentlicher Plätze studieren. Von dem Hannah Arendt Park aus ist eine extensiv bewirtschaftete Vegetationszone mit hohem Gräsern und Wildblumen zu sehen, neben der Wiens größte Gemeinschaftsgärten liegen, im Madame d´Ora Park. Dahinter am Wall ist diesmal der STEPPENSTEG verortet, von dem aus der Blick über die Gemeinschaftsgärten, ein Refugium biodiverser Vegetation, Teile des Hannah Arendts Park und den Campus Seestadt schweifen kann.

Vom STEPPENSTEG aus dem LIZ CHRISTY Pfad folgend werden verschiedene Info Angebote und Platzgestaltungen in der Seestadt, auch ein öffentlicher Komposthaufen als ein durch viel Engagement erreichter Durchbruch im öffentlichen Raum, erlebbar.

Dieses Projekt spannt diesmal sein inhaltliches Feld zwischen Hannah Arendts DENKEN OHNE GELÄNDER, Liz Christys COMMUNITY GARDENS und GREEN GUERILLAS, Madame d`Oras künstlerischer Fotografie und der aktuellen Ausstellung „FRAUEN BAUEN STADT“. Alle diese Positionen lassen sich unter dem Blickwinkel der Fragestellung wie öffentliche Räume als CO HABITATE entwickelt werden können, mit einer neuen Perspektive beleuchten und weiterdenken.

Hannah Arendt, politische Theoretikerin, schreibt über eine Freiheit, die sich daran definiert sich an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen, eine eigene politische Stimme zu haben, die Frage ob wir die Freiheit einfach haben, sie uns gegeben und genommen werden kann. (vgl. „Die Freiheit, frei zu sein“). In ihrer Analyse des Totalitarismus, vor allem des Nationalsozialismus, Eichmann Prozeß und der Möglichkeit von Widerstand oder zumindest dem nichts tun, schreibt sie in einem Brief: „Was hier zur Debatte steht, sind die Argumente, mit denen sie sich vor sich selbst und vor anderen gerechtfertigt haben. Über diese Argumente steht uns ein Urteil zu. Diese Leute standen auch nicht unter dem unmittelbaren Druck des Terrors, sondern nur unter dem mittelbaren. Über die Gradunterschiede in diesen Dingen weiß ich Bescheid. Es gab da immer noch einen Raum des freien Entschlusses und des freien Handelns.“ (Zit. S.35, in „Hannah Arendt, Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk.“ Piper Verlag, 5.Auflage 2013)

Madama d´Ora, schuf fotografische Porträtaufnahmen der Wiener Künstler- und Intellektuellenszene und arbeitete später in Paris weiter als Gesellschafts-, Mode- und Künstler/innenfotografin. Nach dem Krieg kehrte sie nach Wien zurück, fotografierte das zerstörte Wien, Flüchtlingslager und später eine Schlachthof Serie.

LIZ-CHRISTY-PFAD
Dialogführung mit Katarina Rimanoczy, Projekt Essbare Seestadt
Das Forschungsprojekt Essbare Seestadt wurde von Katarina Rimanoczy, Bewohnerin der Seestadt, mitgegründet. In Absprache mit Verantwortlichen und gemeinsam mit vielen Bewohner*innen ist sie dem Wunsch eines lebendigen und naturnahen Stadtteils näher gekommen und hat auch einen Liz-Christy-Pfad initiiert. Liz Christy war eine seed bombs werfende Green Guerrilla Aktivistin, die 1973 in New York City mit anderen engagierten Stadtbewohner*innen aus einer Brache monatelang Müll entsorgte und daraus einen der ersten COMMUNITY GARDEN schuf. Die subversive Begrünungsmethode und Raumaneignung für Gemeinschaftsgärten sind heute ein Erfolgsmodell für Nachbarschaftsgemeinschaften und Versorgung nahe der Wohnstätte geworden.

EIN DORF FÜR IGEL – FRAUEN BAUEN STADT
Künstlerinnenposition von Irene und Christine Hohenbüchler
Direkt vor der Haustüre kann ein Igel über den Weg laufen, sofern er dichte Strauchgruppen und naturnahen Grünraum vorfindet. Der Garten von Irene und Christine Hohenbüchler ist lebensfreundlich und daher auch für Igel ein möglicher Lebensraum. Die beiden Künstlerinnen haben im Zuge des Projektes ein kleines Dorf von Igelhäusern gebaut, welches Igel ein geschütztes Nest und Überwinterung ermöglichen kann. Sich anderen Lebewesen anzunähern ist eine Herausforderung. Wie viel verstehen wir eigentlich von der Lebenswelt der in „unserem“ Umraum vorhandenen Igel? Wie können wir uns vorstellen, was sie benötigen? Haben wir Ahnung davon, wieviel Streß sie im Überlebenskampf durch den schwindenden Lebensraum und den Nahrungsmangel aufgrund des Insektensterbens zu bewältigen haben? Die wenigen vorhandenen Sträucher in den Grünräumen werden nach unseren anthropogenen Bedürfnissen gestaltet, geformt, Laub entfernt. Um Igel eine Überlebenschance zurückzugeben, ist eine Ersatzkonstruktion eine mögliche Übergangs-Option, wie z.B. kleine Häuser mit spezifischer Bauweise. Sie können als Überbrückung behilflich sein, bis die Grünraumplanung Nischen für artenreiche Lebensräume ermöglicht. In einem beobachtenden, lernenden Prozess und Austausch zwischen Christine und Irene Hohenbüchler, Gabriele Sturm und einigen Igeln wurde die Schwierigkeit deutlich, eine Ersatzkonstruktion zu bieten. Wie viel müsste man von einem hochkomplexen System wissen und verstehen, um die eigene Vorstellungswelt mit einer neuen Form von Weltwahrnehmung erweitern zu können? Das wäre für ein SUPER COHABITAT eine Form von Annäherung an einen gemeinsam belebten Raum.

Zum Abschluß dieser Station in der Seestadt wird eine Podiumsdiskussion veranstaltet, die Erfahrungen der 4 Stationen thematisiert und die Möglichkeiten einer Veränderung von artenarmen öffentlichen urbanen Räume und einem anderen Verhältnis von uns zu unserer Umwelt, verhandelt werden.