JULIUS SCHNEIDER

José Enrique Rodó lehrt uns, wollen wir der Schönheit größeren Respekt verschaffen, so giltes, nicht auf direktem Wege die Liebe zum Schönen zu beschwören, sondern zuallererst die Ansicht zu verbreiten, dass ein harmonisches Miteinander aller legitimen Tätigkeitsbereichedes Menschen möglich ist.

Im Kontext von Mensch und Natur gilt es also zuallererst ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der Nutzen der Industrie, mithin der materielle Wohlstand und die Intaktheit natürlicher Lebensräume sich nicht widersprechen.

Und somacht uns Rodó darauf aufmerksam, dass wenn wir nicht wollen, dass die Menschen dem Wort Pythagoras folgend „die Schwalben aus dem Hause vertreiben“, wir dieses Ziel nicht dadurch erreichen, dass wir auf direktem Wege die „klösterliche Anmut und die legendäre Tugendhaftigkeit dieses Vogels beschwören“, sondern vielmehr durch den Hinweis, dass „die Schwalbennester in keinerlei Weise die Sicherheit der Dachziegel beeinträchtigen!“

Natürlich ist diese Vorgehensweise eine Demütigung für den Schönheitssinn, da sie unszwingt dem schönen Vogel für einen Moment die Flüge zu stutzen und ihn allein im Kleidelogischer Vereinbarkeit zu präsentieren.

Doch haben bisher nicht alle Proteste und Verurteilungen unserer Lebensweise versagt die Gesellschaft auf direktem Wege von ihrem zerstörerischen Kurs abzubringen?

Letztlich steckt in einem Bewusstsein für logische Widerspruchslosigkeit zwischen Wohlstandsstreben und Natur auch der Keim für einen Begriff der Harmonie der beiden.

Und ein harmonisches Miteinander zwischen den Interessen der Gesellschaft und den Bewegungen der Natur entspricht wiederum genau der Utopie, von der wir träumen.

Doch warum spreche ich überhaupt von Schönheit in Angesicht der Umweltkrise, in der wir uns befinden?

Wieder kommt Rodó zu Wort, welcher 150 Jahre zuvor, im kolonialen Uruguay, die ökologischen Verwerfungen unserer Gegenwart präzise vorherzusagen wusste.

Unser Handeln als Gesellschaft wird bestimmt durch das, was wir als erstrebenswert betrachten.

D.h. für Rodó gibt es eine intime Beziehung zwischen Ästhetik, als dem was wir als schön, als lebens- und sehenswert betrachten und dem, wofür wir uns letztlich entscheiden zu handeln.

Es genügt nicht zu wissen was wir tun sollten.

Nur die Erfahrung „überredet“ uns letztlich unseren Kurs zu ändern. Wir müssen unser Schicksal spüren können.

Wir werden nicht einfach der Rhetorik von Intellektuellen, zu denen wir gar keine Beziehung haben, Glauben schenken. Genauso wenig wie wir von den Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen beeindruckt sind, genauso wenig werden wir letztlich von Statistiken und Studien dazu bewegt unsere Lebensweise zu verändern.

Dies geschieht, gerade weil der Diskurs im weiteren Sinne und der Umweltdiskurs im engeren Sinne, oft in keinerlei Zusammenhang mit unserer Alltagserfahrung stehen.

Nur was wir auf unsere konkrete Lebenswelt beziehen können, kann uns letztlich animieren unser Verhalten zu ändern. Wenn aber die Welt, in der wir leben (und die ist mittlerweile für über die Hälfte aller Menschen die Stadt) keinen erfahrbaren Zusammenhang mehr mit der ökologischen Krise hat, so werden die Menschen sich gegen jeden gröberen Eingriff in ihren Alltag zur Wehr setzen.

Das kommt dem Aufstand der Kinder gleich, die sich gegen die Spritze des Arztes zur Wehr setzen, gerade weil sie den Sinn des Stiches noch nicht verstehen können.

Sobald jedoch ein Sinn für die Veränderung erlangt wird, geben wir unseren Widerstand auf.

Es braucht also Aufklärung.

Nur darf sie sich nicht auf einen Appell an die Vernunft beschränken, wie sie dies seit ihrer Entstehung stets getan hat. Aufklärung darf keine ausschließliche Angelegenheit der Vernunft bleiben, sondern muss von einem Aufruf zur Besinnung begleitet werden.

Es ist eine Sache sich für den Gedanken des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit zu öffnen, aber eine ganz andere Sache auch die eigene Lebensweise zu verändern.

Die ökologische Transformation der Industrie findet nicht statt, sie hat keine Stätte, die wir besuchen könnten. Zumindest für den urbanen Menschen beschränken sich die Zeichen der industriellen Veränderung zumeist auf Produkte, welche „grün“ vermarktet werden oder der etwaige Mausklick, der signalisiert, dass man ab jetzt Ökostrom bezahlt.

Ohne Stätten der Natur können wir gar keinen Sinn für die selbe entwickeln und alles was unserer Lebensweise zuwiderläuft werden wir mit Widerstand begegnen.

Anders gesagt: Umweltbewusstsein erwirkt man nicht durch das Schaffen vonkritischem Bewusstsein allein.

Es bedarf der Erfahrungsstätten, an welchen ich die Aufklärung auch entfalten kann.

In diesem Kontext erfüllt die Initiative von Gabriele Sturm genau die sinnstiftende Funktion, die wir so dringend vermissen in unserer Gesellschaft.

Sie ist sowohl politisch, in der Forderung die ungenutzten Steppen überall in der Stadt frei zugänglich zu machen – als auch sinnstiftend, denn der Aufenthalt im Grünen, erneuert mühelos unsere Verbindung zur Natur.

Und doch auf andere Weise (und das ist von entscheidender Bedeutung) als es eine Parkanlage je könnte.

Denn die Steppe ist kein normierter Ort.

Sie erfüllt keine gesellschaftliche Funktion, sondern lässt uns die Schönheit dessen erfahren, was von selbstlebt und entsteht und dadurch als seiens- und sehenswert erkannt werden kann.

Die Erfahrbarkeit natürlicher Orte innerhalb der Stadt hebt die unsichtbare Trennung zwischendem Urbanen und dem Ländlichen auf und versinnbildlicht zugleich die Vereinbarkeit von Natur und Gesellschaft.

Der Ort an dem wir wohnen und leben entscheidet unserer Lebensweise.

Wenn es keine Fahrradwege gibt, werden viele auch nicht mit dem Fahrradfahren.

Anders herum vermögen Kaffeehäuser an jeder Ecke einer ganzen Stadt das Genießen nahe-zubringen.

Nicht anders bewirkt die Präsenz des Natürlichem mitten im Wohn- und Lebensraum der Menschen einen Sinn für die Würde der Natur zu erlangen.