Gabriele Sturm
Eine künstlerisch-aktivistische Praxis

Philippe Batka

In ihren Bildern, Installationen und Interventionen zeigt Gabriele Sturm fortwährend neue Horizonte auf, die die Gegenwart in kontrastreichem Licht erscheinen lassen. Häufig vermittelt sie dabei zwischen Nahem und Fernem. Etwa wenn sie die Herkunftswege unserer Supermarktwaren untersucht und sich dafür selbst mit einer Ladung Tomaten auf die Reise vom Anbauort bis zum Verkaufsregal begibt. Sie deckt die Zusammenhänge unserer globalisierten Welt auf, in der niemandes Handeln folgenlos bleiben kann.

Insbesondere ist Gabriele Sturms künstlerisch-aktivistische Praxis mit dem Hier und Jetzt verzahnt – dem unmittelbaren Lebensumfeld der Künstlerin, oder den Orten, an die sie im Zuge von Ausstellungen oder Projekten gelangt und deren Eigenheiten und Problematiken sie empathisch analysiert, um sie zum Ausgangpunkt ihrer situations- und ortsbezogenen Arbeiten zu machen. Mit der Arbeit für den Außenraum des Salzburger Kunstvereins im Jahr 2019 etwa – es handelte sich um unterschiedlich lange Streifen aus Moos, die dem Verlauf der Treppenstufen zum Eingang des Ausstellungshauses folgten und dabei an den Zeichensatz des Morsealphabets erinnerten – untersuchte Sturm das Verhältnis der Institution zu ihrem Umfeld: dem Grün des sie umgebenden Rasens, den sie umstehenden Bäumen und dem hinter ihr verlaufenden Flussbett. Kurz zuvor hatte die Künstlerin eine Petition zum Erhalt des Wiener Eisring Süd gestartet, ein wichtiges Naherholungsgebiet der Stadt und ökologisches Biotop. Für die Ausstellung im Kunstverein transkodierte sie ihr Anliegen in eine großformatige, krypto-typografische Wandarbeit. Zu sehen waren die von der Künstlerin neu arrangierten Bruchstücke jener Buchstaben, die das Wort „Petition“ bilden. Während die reale Unterschriftenaktion der Stadtplanung mit zahlreichen Unterstützungserklärungen Zugeständnisse abrang und im Mahlwerk der Projektentwicklung aufging, blieb die wandfüllende Arbeit als fortwährende Chiffre des Widerstandes bestehen.

Mit ihrem rezenten Projekt CO HABITAT / SUPER COHABITAT geht Gabriele Sturm den Möglichkeiten biodiverser Räume im urbanen, hochverdichteten Stadtgebiet nach. Eine Versuchsanordnung der Künstlerin, der Steppensteg, bespielt nacheinander einige der noch offenen Stellen im Gewebe der Stadt. Die Künstlerin lädt ein, diese als gemeinsamen Lebensraum zu begreifen, als gemeinsames Habitat von Insekten, Wildtieren und Vegetationsgemeinschaften – auf den von Menschen überprägten, anthropogen-gerahmten Flächen. Sturms Intervention, eine Beobachtungsplattform, die den Blick auf den Grund unter ihr mittels eines Glasbodens inszeniert, zielt auf das Rand- und Bodenständige, das dort gedeiht – temporäre Pflanzengesellschaften und Biotope. Sie entwirft mögliche Sowohl-als-auch-Szenarien für jene Flächen, die häufig dem Entweder-oder raumplanerischer Entscheidungen unterliegen.

All diese Strategien der Künstlerin scheinen sich weniger aus moralisch-reflektierenden Überlegungen zum Verhältnis von Natur und Mensch abzuleiten, als vielmehr von einem empathischen Ausgeliefertsein jenen gegenüber, die sie in den Reihen der Ruderal-Community als ihresgleichen ausmacht und – würde man sie danach fragen – wohl als nahe Verwandte bezeichnen würde: die streunenden Katzen, der schweigsame Schmetterling oder die ungestalten und widerspenstigen Gewächse, die nicht eitel sind in der Wahl des Orts, an dem sie Wurzeln schlagen.